Christian Kercher und Gudrun Ingratubun

Advent im Zelt der Völker auf Nahalins Hügelkuppe 
Vierter Advent. Die Sonne scheint von draussen hell in die Höhle. Es ist erstaunlich warm. Das liegt am großen Kreis der Menschen, die um die vielen Kerzen auf dem Boden sitzen, mittendrin der gewaltfreie Christus, der überseinem Knie ein Gewehr zerbricht, das Motiv von Otto Pankoks Gemälde aus den 1920-igern. Mutter Meladeh (arab. ‚Weihnachten‘) Nassar wird die ersten Verse aus Lukas 2 auf arabisch lesen. Neben ihr Sohn Daoud, Frau Jihan, Schwester Amal. Sie warten mit neun Volontären aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland auf die spanischen Journalisten, damit die Weihnachtsandacht beginnen kann. Daoud erzählt, wie sein Bruder Daher und er die Höhle nur zufällig durch ein Erdloch gefunden hatten. Sie wurde wahrscheinlich schon in früheren Jahrhunderten von palästinensischen Christen als Kapelle genutzt, wenn die Kirchen Bethlehems zu weit waren.Und die Höhlen der Hirten, der Außenseiter der Gesellschaft vor 2024 Jahren, sahen ganz ähnlich aus. Denen die Engel ihr „Fürchtet Euch nicht!“ zuriefen.Ein aktueller Zuspruch für alle im Land. Jeden Morgen laufen die Volontäre an den Grenzen von Dahers Weinberg entlang, um zu zeigen, dass wir hier sind. Direkt an den Grundstücksrand ist von den Siedlern ein Wohnwagen und ein großer weißer Kasten abgestellt worden.Ein riesiger Stein- und Sandhaufen ist als Roadblock direkt neben der Toreinfahrt zum Zelt der Völker aufgeschüttet, so dass die Zufahrt nur vom Dorf Nahalin aus möglich ist. Auf dem Weg Richtung Bethlehem werden weitere Absperrzäune zu den israelischen Straßen gebaut und Daoud fürchtet die jederzeit mögliche Sperrung der einzigen Zufahrtsstrasse durch die israelische Armee.Immer wieder sind tagsüber Kampfflugzeuge, Militärhubschrauber und nachts auch die Vibrationen der Bombeneinschläge in Gaza zu hören. Einerseits ist die Atmosphäre zeitweise angespannt aufgrund der Aktivitäten der Siedler, der aggressiven Beleuchtung in der Nacht und dem Wissen um die grausame Kriegsführung in Gaza und Syrien. Andererseits ist die Natur idyllisch und die warmherzige Gastfreundschaft der Familie Nassar ein Magnet für eine faszinierende Vielfalt von Menschen. Die To Do – Liste auf dem Bauernhof ist abwechslungsreich. Die Hühner, Enten und Tauben wollen gefüttert werden. Wir beschneiden die Olivenbäume, machen ein Lagerfeuer mit dem Baumschnitt, verteilen die Asche als Dünger um die Bäume. Vor der Bodenbearbeitung mit dem Traktor räumen wir Steine aus dem Weg, mit denen wir eine Mauer zum Feld des Nachbarn bauen, wo der Zaun eingerissen wurde. Wir pflanzen Bäume. Und befreien am Familienhaus die umlaufenden Gitter vom Rost und streichen sie mit grüner Farbe. Es gibt immer genug zu lachen und ein köstliches Essen. Obwohl die kürzliche Anhörung in Beit El bei Ramallah nur eine weitere Aufschiebung der Landregistrierung ergeben hat, ist Daoud zuversichtlich. Es sei ja deutlich, dass die israelische Behörde nichts gegen sie in der Hand habe, dass alle Dokumente für unsere Familie sprächen. Sie können uns lediglich hinhalten mit ihren Forderungen nach den gleichen Papieren. Die jetzt vom „Gericht“ geforderten Papiere, vor allem erneut eine Landvermessung, konnte Daoud bereits seinem Rechtsanwalt übergeben, der sie morgen dem sogenannten Registrierungskomitee  übergeben will. Heiligabend feiern sie nicht, aber die Besitzurkunde für die Nassars wäre auch kein Geschenk, sondern ist ihr Recht.Auf dem Weg dahin ist politische Fürsprache weiterhin nötig. So hiess Daoud diese Woche zwei US-Delegationen willkommen, zuerst Diplomaten aus dem Office for Palestinian Affairs der Botschaft in Jerusalem, und zwei Tage später Mitarbeiter aus dem Außenministerium in Washington, D.C.. Auch die Präsenz internationaler Freiwilliger bleibt notwendig, wobei Daoud betont, dass gerade auch älteren Volontären das Tor offen steht, schon weil sie problemloser einreisen können. Gudrun Ingratubun und Christian Kercher aus Berlin. ­