Bericht von Johannes Koch als Freiwilliger auf dem Tent of Nations (August 2014 – August 2015)
Dezember 2014

Johannes und Daher (rechts) an der Traubenpresse
Ich bin nun seit gut zwei Monaten auf dem Projekt „Tent of Nations“ (ToN) und kann sagen, dass mir die Arbeit und das Projekt sehr gut gefallen. Außerdem sind die anderen Volontäre und die Familie Nasser unglaublich nett und freundlich. Zudem ist es sehr interessant, mit Volontären aus der ganzen Welt zusammen zu leben und zu arbeiten.
Die Familie Nasser leistet friedlichen Widerstand gegen die israelische Siedlungspolitik. Dazu gehören die Bestellung des Landes und der Rechtsstreit gegen die Landenteignung.
Außerdem finden im Sommer Jugend- und Kindercamps statt, die sich u.a. mit der Problematik befassen. Familie Nasser besitzt den Weinberg (ToN) seit 99 Jahren und kann das durch zahlreiche Dokumente beweisen. Darüber hinaus sorgt Daoud Nasser dafür, dass Menschen aus der ganzen Welt von seinem Projekt, der Ungerechtigkeit und Unterdrückung gegenüber den Palästinensern erfahren. So dürfen sie z.B. auf ihrem eigenen Land kein Haus bauen. Weiterhin haben letztes Jahr israelische Soldaten über 1.000 Bäume zerstört.
Um 7:00 frühstücken wir und beginnen um 7:30 mit der Arbeit. Pausen haben wir von 11:00 bis 11:30 und 13:00 bis 14:30 und Ende ist im Winter meist bei Sonnenuntergang (ca. 17:00).

Fußballspiel von Volontär:innen mit Daoud (rechts)

Blick vom Weinberg Richtung Mittelmeerküste
Zur täglichen Aufgabe gehört es, die Tiere zu füttern, dazu gehören Hühner, Tauben sowie die störrische Esel Dame Vicky und unsere beiden Welpen Pikachu und Lapras.
Arbeitsaufträge haben wir meist schon am Vortag von unserem Chef Daher, dem älteren Bruder von Daoud, erhalten, da dieser meist erst im Laufe des Morgens aus Bethlehem, wo er mit seiner Familie wohnt, zum Weinberg hinauffährt. Daher als Person ist sehr freundlich und gerne zu einem Späßchen aufgelegt. Meist arbeiten Simon und ich zusammen. Unsere Tätigkeiten sind sehr vielfältig, und oft unterscheidet sich unsere Arbeit von der des Vortages. In den ersten Wochen arbeiteten Simon und ich viel bei der neu gebauten Höhle. Dort verkleideten wir die Außenwände der „Höhle“ mit Steinen, um ihr damit ein natürliches Aussehen zu geben. Darüber hinaus zogen wir um verschiedene Felder Zäune, damit die frisch gepflanzten Bäume nicht von Rehen gefressen werden. Auch haben wir Beete angelegt, Mauern gebaut, Felder von Büschen befreit, Erde um junge Bäume umgegraben oder geholfen, die neue Küche für uns Volontäre zu bauen. Weiterhin haben wir Käfige/Ställe für Hühner, Tauben und demnächst auch Kaninchen gebaut und gestaltet. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich und bereitet sehr viel Spaß. Die viele frische Luft, die traumhafte Aussicht und die große Möglichkeit, handwerkliche Projekte selber mitzugestalten, machen den Weinberg zu der richtigen Projektstelle für mich.

Die Hundewelpen Pikachu und Lapras

Regenbogen über der Animal Farm auf dem ToN
Meinen Geburtstag habe ich mit den anderen Volontären in Jerusalem gefeiert. Außerdem haben mich meine Eltern besucht, um sich mein Projekt und Israel/Palästina genauer anzugucken. Weihnachten habe ich zusammen mit Simon und Florian auf dem Weinberg verbracht. Wir haben vorher in Bethlehem eingekauft und uns dann an Heiligabend lecker bekocht, wobei unsere begrenzten Kochkünste auf die limitierten Möglichkeiten in unserer Küche beschränkt waren. Trotzdem haben die Teelichter ein wenig Weihnachtsstimmung aufkommen lassen. Obwohl wir Weihnachten ohne Familie und nicht zu Hause verbracht hatten, war es für uns ein sehr schönes Weihnachten.

Schnee auf dem Weinberg
Kurz nach Neujahr kam auch der Schnee. Drei Tage mit Schnee ließen den Weinberg in einen weißen Schleier hüllen und uns in unsere Höhle verkriechen. Da man hier nicht gut auf Schnee vorbereitet ist, war es Daher und Daoud nicht möglich, auf den Weinberg zu kommen, und wir waren mehr oder weniger auf uns selbst gestellt. Das Positive daran war, dass wir frei hatten.
Auch wenn sich das Projekt „Tent of Nations“ viel mit dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auseinandersetzt, bekommt man dort direkt recht wenig davon mit. Natürlich sieht man jeden Tag die illegalen Siedlungen, die den Weinberg umschließen, jedoch arbeitet man tagsüber doch sehr ruhig im Schatten der Siedlungen. Über die Anschläge auf die Synagoge oder die Auseinandersetzungen in der Altstadt oder dem Tempelberg in Jerusalem erfährt man erst etwas, wenn man Nachrichten liest. Jedoch gab es einen Zwischenfall: Als der Nachbar ein in eine Plastikfolie gestecktes Blatt Papier auf dem ToN durch Zufall fand, konnte man direkt die Art der Israelis miterleben, wie sie mit den Palästinensern umzugehen. Auf diesem Blatt stand „Demolition Order“ und dies besagt, dass bei nicht vorhandenem Einspruch der Familie Nasser Bäume auf einem gekennzeichnetem Stück Land gefällt würden. Dieses absichtliche Ablegen des Abrissbefehls, der zudem noch dem Wetter ausgesetzt ist, irgendwo auf dem Land, statt es der betreffenden Person direkt zukommen zu lassen, zeigt, wie sehr die Palästinenser diskriminiert werden.
April 2015
Ich bin nun seit 8 Monaten im Land und 6 Monate auf dem ToN. Die tägliche Arbeit ist für mich schon zum Alltag geworden, trotzdem macht mir die Arbeit immer noch sehr viel Spaß und unsere Höhle hier ist mir zur zweiten Heimat geworden. Obwohl ich schon so lange hier bin, ist jede Begegnung und Erfahrung aufs Neue sehr spannend und interessant. Zum einen sind es die vielen Besucher und Volontäre, mit denen man sich austauscht, aber auch Einheimische, die einem ihre eigene Sichtweise des Konflikts erzählen.
Die Zeit vergeht ziemlich schnell. Es wird langsam wärmer und man freut sich, dass bald wieder mehr Volontäre kommen. Ruth, die vier Monate hier war, ist wieder auf ihrem Rückweg nach Schottland. Zwischenzeitlich waren drei Volontäre aus den Niederlanden hier, allerdings nur für eine Woche. Für einen Monat war Cyril aus der Schweiz hier, mit dem wir uns sehr gut verstanden haben. Außerdem habe ich mich sehr gefreut über den Besuch meiner großen Schwestern, meiner Tante und meines Onkels.

Simon pflanzt ein Olivenbaum

Baumsetzlinge
Die Arbeit ist weiterhin sehr abwechslungsreich und es gibt viele neue Projekte, die wir Volontäre zusammen mit Daher und Daoud in die Tat umsetzen. Ein großes Projekt stellte die Baumpflanzaktion dar, in der wir für die zerstörten Bäume im Tal ca. 4.000 neue Bäume auf dem gesamten Gelände gepflanzt haben, und zwar Trauben-, Aprikosen-, Äpfel-, Feigen-, Mandel-, Pfirsiche-, Pflaumen- und Olivenbäume.
Dabei wurden wir von vielen Gruppen und Volontären unterstützt, Nachdem die Baumpflanzaktion abgeschlossen war, halfen wir einem Weinspezialisten aus Bethlehem, den sogenannten „Weinberg“ zu planen und anzulegen. Dabei legten wir auf einem Feld Linien mit 2,50 Meter Abstand an. Auf diesen Linien schlugen wir alle 5 Meter Eisenstäbe in den Boden, die ich mit Daher davor geschweißt hatte und an denen wir danach Drähte befestigen. An diesen Drähten sollen später dann die Weinreben wachsen.

Arbeit auf dem „Weinberg“ des ToN

Johannes und Daher beim Schweißen
Weiterhin bauen wir die „Animal Farm“ aus, damit wir in Zukunft auch Ziegen und Hasen dort unterbringen können. Außerdem renovieren wir im Tal eine Höhle, damit dort in Zukunft auch Volontäre schlafen und in den umliegenden Feldern arbeiten können. In der nächsten Zeit kommt auch das Bewässern der jungen Bäume auf uns zu, da das Wetter stetig wärmer und die Erde zunehmend trockener wird.
Leider macht die israelische Regierung es der Familie Nassar immer noch sehr schwer. Das Gericht in Israel behauptete, alle bisher eingereichten Unterlagen der Familie Nassar verloren zu haben. Das heißt für die Familie Nassar, dass sie alle Unterlagen neu beschaffen müssen, was sehr aufwendig und auch teuer ist. Nach 23 Jahren vor Gericht ist die Familie wieder beim Punkt Null angelangt.
August 2015
Mir geht es hier immer noch sehr gut, auch wenn der nahende Abschied sowie die Freude, die Familie und Freunde wiederzusehen, für gemischte Gefühle sorgt.

Motto des Summercamps
In den letzten Monaten war viel los. Wir haben das Sommercamp auf dem ToN miterlebt und mitgestaltet. 20 Volontäre aus aller Welt kamen, um dieses mitzugestalten. Jeden Morgen wurden ca. 30 Kinder mit Bussen zum ToN gebracht. Simon und ich haben den Morgensport für die Kindern vorbereitet. Den restlichen Tag haben wir wie üblich an unseren Projekten gearbeitet. Nach zwei Wochen Sommercamp fand am letzten Freitag ein Fest statt, auf dem die Kinder ihren Eltern vorstellten, was sie in den zwei Wochen alles gemacht haben. Nachmittags gab es dann noch eine kleine Show, bei der die Kinder getanzt, Musik gespielt und wir Volontäre Dabka
(palästinensischer Nationaltanz) getanzt haben.
Wir waren auch zum ersten Mal in Hebron, wo wir an einer Tour von „Breaking the Silence“ teilgenommen haben. Dabei erzählten ehemalige israelische Soldaten von ihren Erfahrungen und Eindrücken aus ihrer Zeit als Soldaten im Gazastreifen und im Westjordanland, die sie selbst als ungerecht und unmenschlich empfunden haben. Hierbei bekam man selbst nochmal einen ganz anderen Blick auf die Situation in Palästina. Darüber hinaus wird in Hebron die extreme Ungerechtigkeit gegenüber der palästinensischen Bevölkerung sehr deutlich, da ein Teil der Altstadt komplett gesperrt ist für die ca. 160 000 Palästinenser, damit die Sicherheit der ca. 350 Siedler gewährleistet wird.
Eine wichtige Aufgabe war auch die Bewässerung der rund 4.000 gepflanzten Bäume, die in den ersten Jahren wöchentlich bewässert werden müssen. Dazu wird neben jedem Baum ein Loch gegraben, welches per Wasserkanister gefüllt und danach mit Erde, sobald das Wasser versickert ist, wieder geschlossen wird. Das Wasser wurde als Regenwasser gesammelt und in den Zisternen gespeichert.

Neuer Zaun der Animal Farm

Fertiger „Weinberg“
Vormittags haben wir meistens an unseren Projekten gearbeitet. Vor dem Sommercamp war dies die Animal Farm, die jetzt fast fertig ist. Wir haben dort einen neuen Zaun um die Gehege gezogen als Schutz für die Tiere. Nach dem Sommercamp lag der Fokus mehr auf dem Weinberg, weil Anfang September die Weinreben kommen und dort gepflanzt werden sollten. Dort bleibt aber bis zu unserer Abreise noch einiges zu tun und wir hoffen, es bis dahin fertigzustellen. Sonst haben wir einige Getreidefelder für die Tiere geerntet und eine Grube ausgehoben für eine Wasseraufbereitungsanlage.
Nun ist es fast so weit, in zwei Tagen geht es zurück nach Deutschland. Es war eine unglaublich schöne und erfahrungsreiche Zeit, was den Abschied umso schwerer macht. Trotzdem freue ich mich schon auf zuhause.
Helga Lenz: Als Freiwillige auf dem ToN (5.-26.11.2024)
Nach zwei Jahren zurück auf dem Weinberg des ToN
Der Weg zum Weinberg ist lang.
Nach drei von den Fluggesellschaften gecancelten Flügen ist die Einreise über Jordanien möglich und sicher. Im Westjordanland ist die Schnellstraße für Palästinenser gesperrt, und der kurze Weg von der Schnellstraße zum Tent of Nations ist von den Siedlern blockiert. Eine weitere Steinblockade wurde von den Siedlern aufgebaut, und die Wege sind nicht mehr für uns passierbar. Statt 10 Minuten Fahrt nach Bethlehem brauchen wir jetzt 50 Minuten, wenn nicht eine Straßenkontrolle oder Sperrung dazwischenkommt.
Es ist ruhig auf dem Weinberg
Nur noch wenige Besuchergruppen erreichen das Tent of Nations in Kriegszeiten. Darunter aber hoher Besuch vom Erzbischof von Canterbury und Luise Amtsberg, der Menschenrechtsbeauftragten mit einem Botschaftsvertreter. Von den Siedlungen sind keine Baugeräusche zu hören. Diese hatten uns in den letzten Jahren immer begleitet. Jetzt ist die Siedlung wieder deutlich gewachsen, aber die Arbeiten an den Rohbauten ruhen, und die neue Straße wird nicht asphaltiert. Seit dem Krieg haben nur noch wenig Palästinenser eine Arbeitserlaubnis. Auch mein Nachbar im Sammeltaxi, der für ein israelisches Bauunternehmen arbeitet, ist arbeitslos, weil er schon einmal – ohne Begründung – festgenommen wurde. Das passiert ständig an den Checkpoints, beim Eindringen der Soldaten in die Wohnviertel … Die vermeintliche Ruhe wird „nur“ durch Drohnen, Helikopter, die die Soldaten zu ihren Einsatzorten bringen, und Düsenjäger, die Richtung Norden, dem Libanon oder Richtung Gaza fliegen, unterbrochen. An den lauen, windstillen Abenden hören wir die Explosionen aus Gaza.
Nachts ist es hell auf dem Weinberg
Vor zwei Jahren wurden wir nur von den Scheinwerfern der Siedler angestrahlt. Jetzt sind auf dem Berg Lampen und Kameras installiert. Die Tore sind immer verschlossen, sodass wir unser Kommen immer telefonisch ankündigen müssen. Bei Dunkelheit gehen möglichst zwei Personen zu den beiden Toren, um auf- oder abzuschließen. Übergriffe und Angst haben zugenommen.
Es ist unsicher auf dem Weinberg und außerhalb
An der Grundstücksgrenze seitlich der Weinvilla, der Unterkunft für Volontäre, stehen auf Siedlerseite in zwei Meter Entfernung ein Container und ein Camper. Der Sicherheitsdienst fährt dicht am Zaun vorbei. Nach dem Überfall auf die beiden Nassar Brüder wurde oft eingebrochen. Selbst die Hunde, der Esel, die Hühner wurden gestohlen. Und: im August errichteten Siedler auf dem Grundstück im Tal eine Holzhütte und kamen mit einem Bulldozer, eine Straße auf dem Land der Nassars zu bauen. Das Land sei ihnen von Gott gegeben, so die Siedler. Die Polizei wurde gerufen, aber kam nicht, der Anwalt der Nassars konnte einen Baustopp und die Entfernung des Gebäudes erwirken. In Zeiten des Krieges, in denen das Militär aus „Sicherheitsgründen“ viele Freiheiten hat, ist dies schon ein Erfolg.

Am Tag meines Besuches der Frauentischlerei in Walajah wurde gerade ein Imbisswagen, der schon viele Jahre an der Straße stand, vom israelischen Militär zerstört, weil der Besitzer gestorben war und keine andere Person das Geschäft weiterführen durfte (Bild). Auch das Dorf Walajah ist von Siedlungen umringt. Seit dem Krieg sind schon 26 Häuser abgerissen worden. Aus „Sicherheitsgründen“ kann sich das Militär auch über anerkannten Besitz hinwegsetzen.
EAPPI Beobachter, die jeden Samstag das Tent of Nations bei der Landarbeit unterstützen, berichten von mehrmals wöchentlichen Angriffen des Militärs auf Schulen.
Die Präsenz des EAPPI, die vor dem Krieg Soldaten davon abgehalten hat, mit Tränengas auf dem Schulhof anzugreifen und Kinder mitzunehmen, wird ignoriert. Kinder werden verhaftet, weil sie angeblich Steine schmeißen wollten oder sich in den sozialen Medien zur Hamas geäußert haben.
https://www.eappi-netzwerk.de/al-walaja-ein-jahr-im-zeichen-der-abrissbagger/
https://www.eyewitnessblogs.com/children/
https://www.eyewitnessblogs.com/behind-closed-do
Unterstützung von israelischen Aktivisten, die vor dem Krieg den Kontakt zwischen Familien Gefangenen hergestellt haben, wird behindert. Auch die Gemeinschaft der Kriegsgegner ist sehr überschaubar. In Jerusalem werden 50 Demonstrant*innen von Kriegsbefürwortern angegriffen und von 25 Polizisten von der Straße gestoßen.